Der demografische Wandel gibt Anlass zu Überlegungen zum Thema Lebensende und den damit verbundenen Fragen der Würde des Menschen. Zudem rücken auch die Entwicklungen der Medizin in den Fokus, da nicht alles medizinisch Mögliche auch sinnvoll erscheint.
Therapieentscheidungen am Lebensende haben eine hohe ethische Brisanz. Eine Unsicherheit bei den Ärzten kann den Patienten auch zum Nachteil gereichen. Dies zum Beispiel dann, wenn aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen im Zweifel alles medizinisch Machbare ausgeschöpft wird und es dadurch zu einer Übertherapie kommt. Eine solche gilt es zu vermeiden, wie zuletzt auch die Bioethikkommission in ihrer Stellungnahme aus 2015 zum Thema „Sterben in Würde“ festgestellt hat.
Klare Rechtsgrundlagen stellen da eine Orientierungshilfe dar und dienen dem Schutz aller Involvierten. Ein Fall einer Therapiebeendigung hat 2015 in der Palliativmedizin Unbehagen und große Verunsicherung ausgelöst. Im März 2019 hat der Gesetzgeber darauf reagiert und im ärztlichen Berufsrecht eine Klarstellung bezüglich der Behandlung am Lebensende getroffen.
Fall aus Salzburg
Eine 79-jährige Patientin wurde nach einem Kreislaufkollaps im Pflegeheim und erfolgreicher Reanimation intubiert und stabilisiert vom Notarzt dem diensthabenden Spitalsarzt übergeben. Bei Eintreffen im Schockraum lagen bei der Patientin, die stark untergewichtig war, ein stabiler Kreislauf und eine assistierte Spontanatmung vor. Sie hatte normale Blutdruckwerte und einen normalen Herzrhythmus. Der Notarzt äußerte gegenüber dem Spitalsarzt den Verdacht, dass der Zustand der Patientin mit dem Fentanyl-Pflaster, das im Pflegeheim verabreicht wurde, in Zusammenhang stehen könnte.
Der Arzt koordinierte im Schockraum Untersuchung und Erstversorgung. Die Patientin erholte sich daraufhin relativ rasch, war gezielt kontaktfähig und wurde extubiert. Eine Krise machte eine erneute Intubation nötig. Aus dem durchgeführten Thoraxröntgen war eine beginnende Lungenentzündung ersichtlich, weshalb sofort mit der Antibiose begonnen wurde. Festgestellt werden konnten überdies zahlreiche Rippenfrakturen und ein gebrochenes Brustbein als Folge der Reanimation des Notarztes. Aus der Krankengeschichte waren weiters eine deutliche Verkalkung der Aorten- und Mitralklappe sowie eine Aortensklerose bekannt. Darüber hinaus litt die Patientin an chronisch degenerativen Wirbelsäulenschmerzen und am Gebrechlichkeitssyndrom.
Der Arzt kontaktierte das Pflegeheim und brachte in Erfahrung, dass für die Patientin keine Patientenverfügung vorlag. Weiters wurde ihm eine angehörige Vertrauensperson bekannt gegeben. Der Arzt kontaktierte diese und bat sie, ins Krankenhaus zu kommen, um den mutmaßlichen Willen der Patientin eruieren zu können. Der Arzt ging davon aus, dass die Patientin eine etwas weniger als 50 %ige Chance habe, nach einer etwa zwei- bis dreiwöchigen Intensivtherapie (Beatmung, Antibiose) die Intensivstation lebend zu verlassen. An eine Wiederherstellung des Gesundheitszustandes wie vor der Einlieferung ins Krankenhaus war aus seiner Sicht nicht mehr zu denken.
Der Arzt entschied sich nach einem Gespräch mit der Vertrauensperson, in dem er zur Überzeugung gelangte, dass die Patientin einen Zustand, wie er nach der Behandlung auf der Intensivstation zu erwarten war, nicht wolle, die intensivmedizinische Behandlung zu beenden und auf „Komforttherapie“ umzustellen. Rund fünf Stunden nach der Einlieferung ins Spital veranlasste der Arzt die Verabreichung von Morphin über einen Perfusor in einer Dosierung von zunächst 2 ml/Stunde, die nach etwa 15 Minuten auf 4 ml/Stunde erhöht wurde. Anschließend entfernte der Arzt den Beatmungstubus. Als die Patientin danach agitierte und Luftnot hatte, erhöhte der Arzt die Morphindosierung auf 6 ml/Stunde. Etwa 45 Minuten später verstarb die Patientin.
Da aus Sicht des Arztes für den Kreislaufkollaps keine eindeutige Ursache gefunden werden konnte und der Notarzt bei der Übergabe im Schockraum den Verdacht äußerte, es könnte im Pflegeheim eine unsachgemäße Verabreichung des Fentanyl-Pflasters erfolgt sein, gab der Arzt bei der Todesmeldung an, dass ein Fremdverschulden nicht auszuschließen sei. Dies führte zu einer gerichtsmedizinischen Obduktion.
Im Rahmen dessen wurde ein toxikologisches Gutachten erstellt. Dieses ging davon aus, dass die Patientin infolge einer Morphinintoxikation in Kombination mit Fentanyl auf nicht natürliche Weise verstorben sei. Ausschlaggebend dafür war, dass im Schenkelvenenblut der Patientin deutlich erhöhte Morphinwerte nachgewiesen wurden (0,44 mg/L), welche aus Sicht der Gerichtsmedizin – bei nicht an Morphin gewöhnten Personen – im als komatös-letal betrachteten Konzentrationsbereich lagen. Auf die Frage, inwieweit die verabreichte Menge von Morphin aus schmerzmedizinischer Sicht erforderlich war, ging das Gutachten nicht ein. In der späteren Strafverhandlung räumte der toxikologische Gutachter ein, dass ihm diesbezüglich die Kompetenz fehle. Die zuständige Staatsanwaltschaft erhob, ohne ein schmerz- oder intensiv- bzw. palliativmedizinisches Gutachten einzuholen, Anklage gegen den Spitalsarzt wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen (§ 81 Abs. 1 Z. 1 StGB). Als Tathandlung stand „die Verabreichung von mehreren starken Morphininfusionen“ im Fokus (LG Salzburg 63 Hv 85/15s).
In weiterer Folge kam es zu einer Strafverhandlung. Dort wurde dem Arzt sogar ein Tötungsvorsatz unterstellt. Dagegen konnte sich der Arzt schlussendlich erfolgreich zur Wehr setzen. Nicht zuletzt ein beigezogener Sachverständiger aus dem Fachbereich Palliativmedizin konnte nachweisen, dass das Vorgehen des Spitalsarztes lege artis erfolgte. Zudem stellte das Gericht fest, dass sich der Spitalsarzt hinreichend bemüht hat, den mutmaßlichen Patientenwillen zu eruieren. Am Ende wurde der Spitalsarzt freigesprochen (LG Salzburg 39 Hv 15/16x).
Rechtlicher Rahmen
Am Lebensende kommt es oftmals zu Therapiezieländerungen. Dabei tritt die Palliation in den Vordergrund, die Kuration in den Hintergrund. Maßnahmen, die allein den Sterbeprozess verlängern, entsprechen weder den Vorgaben einer gewissenhaften Betreuung noch der Wahrung des Wohls des Patienten. So muss eine Behandlung dann nicht begonnen oder fortgesetzt werden, wenn sie aus medizinischer Sicht nicht indiziert oder – was auf dasselbe hinausläuft – mangels Wirksamkeit nicht mehr erfolgversprechend oder sogar aussichtslos ist. Dazu zählen gerade auch Konstellationen eines bereits unaufhaltsam eingetretenen Sterbeprozesses, der durch weitere medizinische Interventionen nur in die Länge gezogen werden würde (Kopetzki, iFamZ 2007).
Ein Therapierückzug aus palliativen Erwägungen darf aber nicht mit einer Sterbehilfe verwechselt werden. Die Palliative Care sagt eindeutig Ja zum Leben, sie begleitet, lindert aktuell belastende Symptome, geht auf Wünsche des Patienten ein, beschleunigt nicht den Todeseintritt, zögert ihn aber auch nicht hinaus. Im Fokus der Palliativmedizin steht die Symptomkontrolle. Dadurch soll eine möglichst hohe Lebensqualität erreicht werden.
Aktive Sterbehilfe ist in Österreich jedenfalls strafbar und fällt entweder unter den Tatbestand des Mordes (§ 75 StGB), der Tötung auf Verlangen (§ 77 StGB) oder der Mitwirkung am Selbstmord (§ 78 StGB). Jedenfalls erlaubt und geboten ist jedoch die Nichteinleitung bzw. der spätere Abbruch von Behandlungen, für die es keine Indikation (mehr) gibt. Sohin ist maßgebliches Abgrenzungskriterium die Indikation, aber auch der Patientenwille. Ein Patient kann z.B. durch eine Patientenverfügung vorab festlegen, dass er im Falle einer lebensbedrohlichen Krise in der Zukunft bestimmt definierte Behandlungen nicht erhalten möchte.
Neue Regelung im Ärztegesetz seit März 2019
Aufgrund des Salzburg-Falles wurde im § 49a Ärztegesetz eine Beistandspflicht bei Sterbenden eingeführt. Demnach hat ein Arzt Sterbenden, die von ihm in Behandlung übernommen wurden, unter Wahrung ihrer Würde beizustehen. Dabei ist es auch zulässig, im Rahmen palliativmedizinischer Indikationen Maßnahmen zu setzen, deren Nutzen zur Linderung schwerster Schmerzen und Qualen im Verhältnis zum Risiko einer Beschleunigung des Verlusts vitaler Lebensfunktionen überwiegt.
Als Sterbende gelten Kranke oder Verletzte mit irreversiblem Versagen einer oder mehrerer vitaler Funktionen, bei denen der Eintritt des Todes in kurzer Zeit zu erwarten ist. Ihnen soll durch eine palliativmedizinische Versorgung geholfen werden. Bei Sterbenden kann die Linderung des Leidens so im Vordergrund stehen, dass eine möglicherweise dadurch bedingte unvermeidbare Lebensverkürzung hingenommen werden darf.
Auf den Punkt gebracht ist es das Ziel, Medikamente im Rahmen der Palliative Care so zu dosieren, dass damit eine Symptomkontrolle hergestellt werden kann. Dabei sollte man sich symptomorientiert hochtitrieren. Wenn jedoch zur Linderung schwerster Schmerzen und Qualen solche Dosen nötig sind, die mitunter den Todeseintritt beschleunigen, so ist dies juristisch zulässig. Ultima ratio ist auch eine palliative Sedierung zu erwägen.
Tipps für die ärztliche Praxis
Therapieentscheidungen müssen nachvollziehbar und entsprechend dokumentiert sein. Dies dient auch dem Selbstschutz. Dass die Symptomkontrolle das Behandlungsziel ist, sollte klar hervorgehen. Jedenfalls sind Teamentscheidungen zu nützen und sollte eine Orientierung an bereits publizierten Fachstandards, wie z.B. das Papier „Therapiezieländerungen auf Intensivstationen“ der ÖGARI aus 2013, erfolgen. Eine nützliche Hilfe stellen auch ethische Fallbesprechungen dar.
Literaturhinweis:
Recht in der Palliative Care, 1. Auflage (2019), € 32, Educa Verlag
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11.10.2020