Unter der Federführung von Notruf NÖ erfolgte Mitte Mai 2020 der Start des Pilotprojektes der „Acute Community Nurse“ (ACN) in einer ausgewählten Region Niederösterreichs. Erfahrene diplomierte Pflegepersonen mit einer parallel absolvierten Ausbildung zum Notfallsanitäter mit Notfallkompetenzen bilden eine neuartige Kombination für eine präklinische Patientenversorgung. Bei positiver Evaluierung des Projekts ist eine schrittweise weitere Ausrollung in anderen Regionen Niederösterreichs ab 2022 angedacht.

Zeitnah reagierte die Ärztekammer für Niederösterreich mit einer Presseaussendung und betitelte diese mit „Ärztliche Kompetenz bei Notfällen unersetzlich – Ärztekammer warnt vor dem Einsatz nichtärztlicher Hilfskräfte in der Akutmedizin“. Die Kritik geht dahin, dass eine ärztliche Leistung niemals durch nichtärztliche, paramedizinische Leistung ersetzt werden kann. Zudem wird seitens der Ärztekammer betont, dass die Letztverantwortung im medizinischen Bereich nur bei Ärzten liegen und keinesfalls delegiert werden kann.

Michael Halmich, Jurist mit jahrelanger Erfahrung im Rettungsdienst, versucht klarzustellen, wer eigentlich für die präklinische Patientenversorgung in Österreich aus juristischer Perspektive verantwortlich zeichnet.

 

Ärzte und die Medizin

Nach § 2 Ärztegesetz sind Ärzte zur Ausübung der Medizin berufen. Dabei geht es um jede Tätigkeit, die auf medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen begründeten ist, wie etwa Diagnostik, Behandlung aber auch Prävention. Dazu zählt natürlich auch die präklinische Versorgung kranker und verletzter Patienten, die medizinisch indizierter Hilfe bedürfen.

Der Grundsatz, dass nur Ärzte medizinisch tätig werden dürfen, ist aber dadurch eingegrenzt, dass es eine Reihe anderer gesetzlich geregelter Gesundheitsberufe gibt, die in der Patientenversorgung eigenverantwortlich tätig werden dürfen. Zu nennen sind beispielsweise Sanitäter und diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonen. Und das Ärztegesetz steht in der Gesetzeshierarchie auf gleicher Ebene wie das Sanitätergesetz (SanG) und das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG). Sie alle sind Bundesgesetze.

Zum Schutz der Patienten sind aber für ausgewählte Gesundheitsberufe nur solche medizinisch begründeten Tätigkeiten erlaubt, die im Gesetz klar und unmissverständlich genannt sind.

 

Sanitäter und die präklinische Patientenversorgung

Seit 2002 haben Sanitäter in Österreich ein eigenverantwortlich wahrzunehmendes Berufs- und Tätigkeitsbild. Nach § 8 SanG umfasst der Sanitätsdienst die eigenverantwortliche Anwendung von Maßnahmen der qualifizierten Ersten Hilfe, der Sanitätshilfe und der Rettungstechnik, einschließlich diagnostischer und therapeutischer Verrichtungen. Die Kompetenzen sind im Detail für Rettungssanitäter und Notfallsanitäter unterschiedlich. Letztere können aufbauend Notfallkompetenzen erwerben, um unmittelbare Gefahren für das Leben oder die Gesundheit von Notfallpatienten im „(not)arztfreien Intervall“ abwenden zu können. Hierfür erlaubt das SanG bereits seit 2002, dass speziell ausgebildete Sanitäter Medikamente einsetzen (diese sind chefärztlich freizugeben), periphere Venen punktieren sowie kristalloide Lösungen infundieren und (ohne Prämedikation) endotracheal intubieren. Die Listen der freigegebenen Medikamente für Notfallsanitäter sind in den diversen Rettungsorganisationen unterschiedlich ausgestaltet. Sie reichen von Medikamenten zur Behandlung zerebraler Krampfanfälle, akuter Koronarsyndrome, kardial bedingter Lungenödeme über hypertensiver Krisen, Asthmaanfälle, Atem-Kreislaufstillstände, einer Hypoglycämie oder Hypovolämie bis hin zur Analgesie.

Aufgrund ihres Ausbildungsstandes werden Rettungssanitäter im Rahmen von Krankentransporten und im Rettungsdienst eingesetzt, nicht aber zur planmäßig alleinigen Versorgung von Notfallpatienten. Dies ist Notfallsanitätern bzw. Notärzten vorbehalten. Neben der professionellen Unterstützung des Notarztes ist es bereits seit 2002 Aufgabe von Notfallsanitätern, Notfallpatienten bis zur ärztlichen Übernahme alleinig zu betreuen, zu versorgen und auch zu transportieren.

Sohin ist nicht bei jedem präklinischen Einsatz auch ein Notarzt beteiligt. Entweder ergibt sich die dringliche Beiziehung von Notärzten bereits im Rahmen der Notrufabfrage (144) oder wird durch die Sanitäter am Einsatzort die Indikation hierfür gestellt. Alle Sanitäter haben nach § 4 SanG folgende Pflicht: „Nötigenfalls ist ein Notarzt oder, wenn ein solcher nicht zur Verfügung steht, ein sonstiger zur selbständigen Berufsausübung berechtigter Arzt anzufordern.“

In Publikationen notfallmedizinisch tätiger Ärzte wird immer wieder darauf hingewiesen, mit der „knappen Ressource Notarzt“ sorgsam umzugehen. So haben bereits 2014 die beiden Notärzte Prause und Kainz in der Österreichischen Ärztezeitung vertreten, dass es in Österreich eine hohe Rate an Beiziehungen von Notärzten in der Präklinik gibt, wobei die Indikationsrate diesbezüglich gering ist. Eine Untersuchung hat gezeigt, dass nur jeder neunte Notarzt-Einsatz tatsächlich indiziert ist. Zudem haben sich die die Einsätze mit beigezogenen Notärzten in den letzten 30 Jahren verzehnfacht.

Somit haben Sanitäter in der präklinischen Patientenversorgung seit langer Zeit ihren fixen Platz und werden – seit zumindest 2002 in rechtlich zulässiger Weise – sanitätsdienstlich als auch medizinisch tätig. Rettungsorganisationen unterliegen einer (not)ärztlichen Aufsicht. Zudem sind die Handlungsalgorithmen und die Details zu den Notfallkompetenzen letztverantwortlich von (Not)Ärzten festgelegt.

 

Gehobener Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege

Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonen (DGKP) haben durch die GuKG-Novelle 2016 eine Aufwertung innerhalb der Gesundheitsberufe erfahren. Sie haben pflegerische Kernkompetenzen, die von ihnen eigenverantwortlich wahrzunehmen sind. Zudem haben sie im „arztfreien Intervall“ Kompetenzen im Notfall; dies ohne Anordnung durch Ärzte. Dazu zählt neben dem Erkennen und Einschätzen von Notfällen, die eigenverantwortliche Durchführung lebensrettender Sofortmaßnahmen (Herzdruckmassage und Beatmung, Defibrillation, Verabreichung von Sauerstoff). Im Rahmen der Atemwegskompetenz wurde durch die Regierungsvorlage zur GuKG-Novelle 2016 klargestellt, dass DGKP in Notfällen neben Beatmungsmasken insbesondere oropharyngeal und nasopharyngeal Tuben sowie einen supraglottischen Larynxtubus setzen dürfen. Im Rahmen der cardio-pulmonalen Reanimation besteht sogar die Möglichkeit des Einsatzes von endotrachealen Tuben. Jedenfalls ist unverzüglich ein Arzt beizuziehen.

Weiters haben DGKP Kompetenzen bei medizinischer Diagnostik und Therapie. Hierfür bedarf es einer ärztlichen Anordnung im Einzelfall. Die Verantwortung für die korrekte Durchführung hat der DGKP inne. Die delegierbaren medizinischen Tätigkeiten reichen durchaus weit. In Summe sind 21 Tätigkeiten ausgewiesen, wie etwa die Verabreichung von Arzneimitteln, Injektionen und Infusionen; Legen und Wechsel periphervenöser Verweilkanülen; Verabreichung von Vollblut und/oder Blutbestandteilen; Setzen von transurethralen Kathetern bei beiden Geschlechtern; Entfernen von Drainagen, Nähten und Wundverschlussklammern; Legen und Entfernen von transnasalen und transoralen Magensonden; Anpassung von Insulin-, Schmerz- und Antikoagulantientherapie nach SOP etc. Manche bezeichneten die DGKP nach der Novelle 2016 auch als „Turnusarzt light“.

Nichtsdestotrotz wurde dieser Kompetenzbereich bereits 2016 gesetzlich eröffnet und ist somit ein Tätigsein im medizinischen Bereich für DGKP Berufsalltag. Im Rettungsdienst dürfen DGKP nur dann tätig werden, wenn sie parallel auch über eine Sanitäterausbildung verfügen. Es bestehen Anrechnungsmöglichkeiten.

Durch die Kombination des Tätigkeitsfeldes „Notfallsanitäter“ und „DGKP“ im Rahmen des Projekts „Acute Community Nursing (ACN)“ entsteht der Vorteil, dass diese dual ausgebildeten Personen im Rahmen der Patientenversorgung die Kompetenzen beider Tätigkeitsfelder nutzen können. Die Notruf NÖ meint diesbezüglich in einer Aussendung: „In Zeiten, in denen es immer schwieriger wird die Ressource Arzt/Ärztin flächendeckend und zeitnahe an Einsatzorte bringen zu können, gewährleistet der Einsatz der ACN eine Versorgung vorwiegend in der Rolle des „ Trouble Shooters “ – einerseits als qualitativ hochwertig ausgebildete NotfallsanitäterIn und andererseits als akademisch ausgebildete Pflegeperson, die steigende psychosoziale und pflegerische Bedarfe in Akutsituationen professionell beantworten kann.“ Das aktuelle Tätigkeitsgebiet der ACN gliedert sich in:

Community Nursing:

  • Pflegevisiten nach telefonischen Vortriage durch 1450 bzw. 141
  • Direktanforderungen durch Ärzte oder Fachpersonal von Versorgungseinrichtungen

Rettungsdienst:

  • Mitalarmierung bei Akut- und Notfallpatienten im Rahmen der rettungsdienstlichen Versorgung, Evaluierung der weiteren Versorgung und wenn nötig Transportbegleitung.
  • Nachforderungen durch Sanitäter bzw. Notärzte etwa bei:
    • Probleme mit Sonden, Kathetern, Kanülen, etc. die aufgrund des Zustandes keine sofortige Hospitalisierung benötigen;
    • Patienten mit akuter Pflegebedürftigkeit ohne Versorgungsmöglichkeit, plötzlicher Ausfall pflegender Angehöriger oder 24h Betreuung;
    • Patienten in Palliativbetreuung oder im Sterbeprozess;
    • Patienten mit vitaler Bedrohung oder Schmerzen, wenn die Eintreffzeit kürzer als ein Notarztmittel ist.

Jedenfalls hat auch die ACN die rechtliche Pflicht, im Einsatzgeschehen nötigenfalls einen Notarzt oder, wenn ein solcher nicht zur Verfügung steht, einen sonstigen zur selbständigen Berufsausübung berechtigten Arzt anzufordern.

 

Schlussbemerkung

Der Grundsatz, dass nur Ärzte (Notfall)Medizin betreiben dürfen, ist in der österreichischen Rechtsordnung so nicht abgebildet. In den letzten Jahren haben sich auch andere Gesundheitsberufe etabliert und ist heute der Grundsatz verankert, dass die Arbeit von Gesundheitsberufen nur mehr arbeitsteilig und gemeinschaftlich erfolgen kann. Jeder hat seine vom Gesetz zugewiesenen Kompetenzen.

Bei den Gesundheitsberufen machen Berufsdurchlässigkeiten (also die Mitnahmen von Kompetenzen aus einem anderen Berufs-/Tätigkeitsbild) durchaus Sinn. Dennoch wäre es wichtig, die Rolle der Sanitäter im Rettungsdienst zu stärken und ihre Kompetenzen den aktuellen Anforderungen anzupassen. Die Arbeiten zur Novelle des SanG, welche schon vor einiger Zeit begonnen haben, sollten wieder aufgenommen werden. Denn man darf sich nicht damit zufrieden geben, fehlende Kompetenzen der Sanitäter durch eine Kombination mit anderen Gesundheitsberufen (wie den DGKP) langfristig zu kompensieren.

Schlussendlich ist durch diese rechtliche Klarstellung die Besorgnis von Vertretern der Ärztekammer für Niederösterreich, dass „eine ärztliche Leistung niemals durch nichtärztliche, paramedizinische Leistung ersetzt werden kann“, unbegründet. Seit zumindest 2002 gelten diesbezüglich bereits klare rechtliche Vorschriften für ein arbeitsteiliges Zusammenarbeiten in der präklinischen Patientenversorgung.

 

Veranstaltungshinweis:
Symposium der Öst. Gesellschaft für Ethik und Recht in der Notfallmedizin (ÖGERN) am 6. November 2020 in Wien zum Thema “Anforderungen an die präklinische Patientenversorgung der Zukunft”
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12.07.2020